Wenn dir einer oder sogar mehrere dieser Gedanken bekannt vorkommen, bist du hier genau richtig:
Ich kann ein Buch nicht abbrechen, wenn ich schon 200 Seiten gelesen habe.
Ich kann ein Buch nicht abbrechen, für das ich (viel) Geld bezahlt habe.
Ich kann das Buch nicht abbrechen, vielleicht wird die Geschichte noch besser.
Ich kann das Buch nicht abbrechen, es gibt so viele Menschen, die es toll fanden.
Ich muss doch wissen, wie die Geschichte weitergeht.
Ich kann das Buch nicht abbrechen, es ist ein Bestseller/Klassiker/Geschenk etc.
Wenn ich das Buch nicht zu Ende lese, kann ich es nicht in mein Bücherregal stellen und zeigen, dass ich es gelesen habe.
Der Autor/die Autorin hat sich viel Mühe beim Schreiben gegeben, ich fühle mich verpflichtet, es zu Ende zu lesen.
Hast du schon mal einen oder mehrere dieser Sätze selbst gedacht? Vielleicht hast du dich bei der Überlegung ertappt, dass das tatsächlich alles gute Gründe dafür sind, ein Buch nicht abzubrechen.
Zum Thema Bücher abbrechen gibt es die unterschiedlichsten Meinungen und Ansichten. Für manche grenzt allein der Gedanke daran an ein Kapitalverbrechen, für andere ist es die goldene Regel, ohne die sie sich das Lesen nicht mehr vorstellen könnten.
Doch warum fällt es den meisten Menschen so schwer, ein Buch abzubrechen? Anstatt zu akzeptieren, dass es ganz einfach dazugehört, wenn man regelmäßig Bücher liest, quälen wir uns durch die Seiten, bis wir endlich am Ende angekommen sind und das Buch mit einem erleichterten Seufzer zuklappen. Immerhin können wir dann sagen, dass wir es gelesen haben und erhalten als Belohnung das befriedigende Gefühl ein weiteres Buch ins Regal stellen zu können. Eine weitere Aufgabe, die wir erfolgreich erledigt haben. Jetzt fällt zumindest das schlechte Gewissen weg, das wir bis vor kurzem noch hatten, weil das Buch jahrelang ungelesen herumlag (in vielen Fällen übrigens ein gutes Zeichen dafür, dass man es am besten längst aussortiert hätte).
Aber ist dieses Vorgehen wirklich sinnvoll oder sind wir lediglich der Ansicht, dass es sich so »gehört«?
Ich habe selbst eine Weile gebraucht, bis ich mich getraut habe, ein Buch abzubrechen. Doch wenn man einmal damit angefangen hat, wird es jedes Mal ein bisschen leichter. Aber zuerst möchte ich dir ein paar gute Gründe nennen, warum es überhaupt sinnvoll (und notwendig) ist, Bücher abzubrechen.
Es gibt schlechte Nachrichten, wenn man der Illusion verfällt, dass es möglich ist, alle Bücher zu lesen. Mal davon abgesehen, dass jedes Jahr ca. 70.000 Neuerscheinungen auf den Markt kommen, gibt es unzählige Buchtipps und Empfehlungen, die die Leseliste noch länger werden lassen. Die Möglichkeiten, neue Geschichten zu entdecken, sind nahezu unbegrenzt. Und genau hier liegt das Problem. Es sind einfach zu viele Bücher. Selbst wenn man sich hauptsächlich auf ein Genre konzentriert, ist es aussichtslos. Schon der Versuch führt zu unnötigem Stress und Frustration.
Auch wenn es zuerst deprimierend erscheinen mag, kann es auch befreiend sein zu erkennen, dass es einfach nicht möglich ist, alles zu lesen.
Mittlerweile sind es nicht mehr nur die Empfehlungen von der Lieblingsbuchhandlung um die Ecke oder der besten Freundin, mit der man regelmäßig Bücher austauscht. Die sozialen Medien haben diesen Einfluss vervielfacht und damit auch die Menge von Büchern, die uns täglich präsentiert werden.
Auf YouTube, Instagram, TikTok, Pinterest, und in Podcasts wird über Bücher gesprochen – das ist einerseits großartig, führt aber auch zu Problemen, wenn man sich vor der Flut an Informationen kaum noch retten kann. Schnell bekommt man das Gefühl, man müsse das alles auch lesen, um mitreden zu können und ein ähnlich tolles Leseerlebnis zu haben. Das führt zu einer ganz normalen Empfindung: Fear of missing out (FOMO) oder die Angst, etwas zu verpassen.
💡 Mutig sein und eigene Entscheidungen treffen: Deine Meinung zählt!
Es ist wundervoll, den Empfehlungen von anderen zu folgen und sich von ihrer Begeisterung anstecken zu lassen, doch dabei solltest du dich selbst nicht vergessen. Vertraue auf dein Bauchgefühl und folge deinen Interessen – es ist okay, wenn sie nicht mit den aktuellen Trendthemen übereinstimmen.
“If one cannot enjoy reading a book over and over again, there is no use in reading it at all.”
Oscar Wilde
💡 Wie viel Zeit / Seiten gibt man einem Buch, bevor man es abbricht?
50, 100, 150 Seiten? Wie viel Zeit benötigt es, um eine gute Entscheidung treffen zu können? Manche LeserInnen orientieren sich an einer festen Seitenanzahl oder machen es von der Dicke des Buches abhängig. Immerhin ist ein schmales Buch mit 200 Seiten nicht mit einem 800 Seiten Fantasy-Epos vergleichbar. Einige Geschichten brauchen etwas länger, um sich zu entfalten, andere ziehen einen von der ersten Seite an in ihren Bann.
Mit der Zeit wirst du ein gutes Gefühl dafür entwickeln, ob du ein Buch weiterlesen möchtest oder nicht. Viele LeserInnen können schon nach wenigen Seiten feststellen, ob der Schreibstil und die Geschichte etwas für sie sind. Vertraue auf deine Intuition! Und denk daran: Du musst deine Entscheidung vor niemandem rechtfertigen. Auch nicht vor dir selbst 😉
Es gibt Momente, da liest man ein oder zwei Kapitel und findet einfach keinen Zugang. Das muss nicht heißen, dass einem das Buch nicht gefällt, sondern dass es einfach nicht der richtige Zeitpunkt ist. Vielleicht ist man gerade nicht in der richtigen Stimmung und in ein paar Wochen hat man mehr Lust auf die Geschichte. Aber das sind oftmals die Ausnahmen.
Mir geht es um die Situationen, in denen man bereits 150 Seiten gelesen hat und sich quält. Das Einzige, was einen dazu bringt, das Buch erneut in die Hand zu nehmen, ist der Gedanke, dass es bestimmt noch besser wird. Aber ist das wirklich so? Ist es nicht viel wahrscheinlicher, dass uns das Buch einfach nicht gefällt? Was hindert uns daran, zu akzeptieren, dass es einfach nicht die richtige Geschichte für uns ist?
🌿 Denk daran: Es gibt fürs Durchhalten keine Medaille!
💡 Was ist, wenn ich neugierig bin und unbedingt das Ende wissen möchte?
Mir ist bewusst, dass das ein ziemlich gewagter Vorschlag ist, aber hast du schon einmal daran gedacht, einfach zum letzten Kapitel zu springen und es herauszufinden? So erfährst du, wie die Geschichte ausgeht, ohne jede Seite lesen zu müssen.
Was auch immer du tust, du musst dich dabei wohl fühlen. Wie immer gilt: Es sind deine Regeln und du entscheidest, was für dich funktioniert!
Es gibt sehr viele Gründe, ein Buch zu lesen. Doch es gibt nur sehr wenige Gründe, weshalb wir uns durch Geschichten quälen sollten, die uns nicht gefallen. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um einen Bestseller oder ein Geschenk von Oma Hilde handelt. Deine Lebenszeit ist zu kostbar, um sie mit Büchern zu verbringen, die du eigentlich gar nicht lesen willst.
Am Ende ärgert man sich nur und ist frustriert, weil man Recht hatte und das Buch nicht besser geworden ist. Jetzt kommen zur Zeitverschwendung noch die schlechten Gefühle hinzu. Und das ist es nicht wert!
Ein Buch, bei dem man keine Lust hat es zu lesen, kann einem kurzfristig die Freude an dem Hobby verderben. Statt für einen entspannten Ausgleich zu sorgen, entsteht Stress und Unzufriedenheit.
💡Achtung! Gefahr Leseflaute
Es gibt noch einen weiteren, wichtigen Aspekt, der nicht unterschätzt werden darf: Wenn du Bücher liest, die dir keinen Spaß machen, läufst du Gefahr, dass sich dieses Gefühl auf das Lesen im Allgemeinen überträgt. Stichwort Leseflaute. Und die sollte vermieden werden, soweit es irgendwie möglich ist.
Das waren wichtige Gründe, die dich hoffentlich überzeugt und zum Nachdenken angeregt haben. Doch es gibt noch einen 💡 Bonus-Tipp, den ich dir nicht vorenthalten möchte. Eine Gedanke, der mir geholfen hat, meine Sichtweise auf das Thema nachhaltig zu verändern:
🌿 Das Buch hat seinen Zweck erfüllt!
Vielleicht ist es gar nicht die Aufgabe jedes Buches, bis zum Ende gelesen zu werden. Manchmal stelle ich nach ein paar Kapiteln fest, dass mir der Aufbau der Geschichte bereits bekannt vorkommt, dass ich etwas Ähnliches schon einmal gelesen habe oder dass ich schlichtweg das Interesse verloren habe. Dann kann ich das Buch ohne schlechtes Gewissen zur Seite legen.
Oder ich merke schon nach wenigen Seiten, dass mich der Schreibstil nicht fesseln kann. Ich habe es probiert und festgestellt, dass wir einfach nicht zusammen passen. Und das ist vollkommen in Ordnung.
Doch selbst wenn das geschieht, habe ich meistens etwas dazugelernt, eine neue Erkenntnis gewonnen oder eine mir bis dahin unbekannte Information erhalten. Vielleicht gab es einen schönen Satz, der mich zum Nachdenken angeregt hat. Eine Landschaftsbeschreibung, die mir besonders gut gefallen hat oder einen Satz, der mich zum Lächeln gebracht hat. Ich hatte Freude dabei, in das Buch hineinzulesen und einen Eindruck von der Geschichte zu bekommen.
So oder so hat das Buch seinen Zweck bereits erfüllt und ich bin nicht gezwungen, es bis zum Ende zu lesen. Manche Begegnungen im Leben sind flüchtig und das gilt auch für Bücher. Mir das bewusst zu machen, hat mir schon oft dabei geholfen, ein Buch mit einem guten Gefühl wieder aus der Hand zu legen.
💡 Mach dir bewusst, wie kostbar Lesezeit ist.
💡 Keinen unnötigen Druck aufzubauen (ich kann und muss nicht alles lesen).
💡 Ich kann ein Buch an jeder Stelle abbrechen, egal wie weit ich schon gekommen bin.
💡 Lesen ist ein Hobby und sollte sich nicht wie Arbeit oder eine weitere Verpflichtung anfühlen.
💡 Ich entscheide, was mir Freude macht!
💡 Loslassen kann befreiend sein. Vertraue auf dein Bauchgefühl!